Der Arztbrief -ein Relikt vergangener Zeiten?

Beim Arztbesuch wird in der Schnelle der Zeit nur die Hälfte verstanden, im Arztbericht stehen nur unverständliche Fachwörter und schlussendlich fühlt man sich mit seiner Erkrankung alleine gelassen - ein Kommentar

Dr. med. Florian Dittrich
Dr. med. Florian Dittrich

Wer musste folgendes Problem nicht schon einmal selbst am eigenen Leib erfahren: Beim Arztbesuch wird in der Schnelle der Zeit nur die Hälfte verstanden, im Arztbericht stehen nur unverständliche Fachwörter und schlussendlich fühlt man sich mit seiner Erkrankung alleine gelassen. Demgegenüber stehen zahllose wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass besser informierte Patienten eine deutlich höhere Compliance und schlussendlich ein besseres Outcome haben, gleichzeitig wird aber die ärztliche Behandlung immer komplexer.

Ärzte sehen sich in der aktuellen stationären und ambulanten Patientenversorgung mit einer zunehmend an die Digitalisierung adaptierten Patientenklientel konfrontiert. Das Smartphone ist zum ständigen Begleiter geworden und hat das Verständnis von Kommunikation und Organisation grundlegend verändert. Diesem Anspruch kann das Medium des gedruckten Arzt- oder Entlassungsbriefs nicht mehr genügen, der heute noch den Standard des alltäglichen Informations- und Transferdokuments für die Kommunikation zwischen den behandelnden Ärzten darstellt. Der Arztbrief bedient sich medizinischer Fachterminologie, enthält alle relevanten Daten zur aktuellen medizinischen Krankenhistorie und stellt neben einem rein informativen Medium ein essenzielles Dokument von forensischer Relevanz dar. Im klinischen Alltag zeigt sich jedoch, dass viele Patienten nach aufwendigen Therapien und entsprechenden Behandlungspfaden (z.B. minimalinvasive Zugänge, Fast-track-Chirurgie, interdisziplinäre Mit- und Weiterbehandlung) früher als noch vor wenigen Jahren in die ambulante Weiterbehandlung entlassen werden können. Insgesamt bestehen somit höhere Anforderungen an die Rehabilitationsphase zur Vermeidung erhöhter Komplikationsraten. Der Patient sieht sich allerdings im Normalfall mit einer für ihn nur schwer verständlichen Fülle an Informationen konfrontiert. Diese stellen nur einen geringen Mehrwert für den selbstbestimmten, kompetenten Patienten dar und erfüllen nicht den Anspruch einer Patienteneinbindung in den Behandlungsprozess.

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Aktuell eröffnet der technische Fortschritt dem medizinischen Personal neue innovative Kommunikations- und Therapiemöglichkeiten mit den zu behandelnden Patienten. Gerade die Covid-19 Pandemie hat uns noch einmal vor Augen geführt, dass die aktuell existierenden (analogen) Prozesse starr und unflexibel sind. Die Vorteile digitaler Medien liegen auf der Hand: Auf dem Smartphone abgerufene Inhalte und Informationen unterliegen einer kontinuierlichen Dynamik und erreichen damit eine durch gedruckte Medien nicht realisierbare Aktualität. 

Neben den Vorteilen existieren jedoch auch nicht zu vernachlässigende Risiken oder Nachteile. Was es zu diskutieren gibt, ist die Frage, welchen Zweck digitale Anwendungen (App, Künstliche Intelligenz (AI), Stand-Alone-Software) zukünftig einnehmen soll:

Kann beispielsweise eine App die Rehabilitation nach einer Operation eigenständig übernehmen oder lässt sich die jahrelange manuelle Erfahrung eines Therapeuten nie in eine Software übertragen?

Kann aber nicht auch eine App die Arbeit eines Therapeuten so unterstützen, dass dieser wieder mehr Zeit für die "Arbeit am Patienten" hat?

Welche Defizite im bestehenden System können durch digitale Anwendungen aufgehoben oder abgeschwächt werden?

Die Erfahrungen mit der Symbiose aus traditionellen und digitalen Medien, in der man die Vorteile aus beiden Bereichen miteinander kombiniert, muss dazu genutzt werden, eine fundierte eHealth-Evidenzlage zu schaffen.

Die Optimierung des Arzt-Patienteninformationsflusses lässt sich durch die Nutzung eines zeitgemäßen Mediums - des Smartphones - der Einbindung in eine ganzheitliche, individualisierbare "Patientjourney" und durch Vermeidung von Fachterminologie (Bilder, Videos etc.) in Ergänzung zum Arztbrief erlangen. Das verbesserte Verständnis des Krankheitsbildes ("Engagement") führt dazu, dass Patienten ihren Weg zur Gesundung aktiv mitgestalten können. Der Arztbrief hat aber noch lange nicht ausgedient.